Buddhaweisheit. Es ist Nacht und es ist still. Die Geschäftigkeit des Tages ruht und damit auch die Geschäftigkeit des Geistes. Da ist fast nichts, außer den natürlichen Geräuschen der Umgebung.

Das ist eine Kalligraphie, die wie eine rasch hingeworfene Skizze aussieht. Und das ist hier durchaus angemessen. Es ist ja fast immer so, dass bei einer guten Kalligraphie Inhalt und Form korrespondieren. Hier geht es um einen flüchtigen Augenblick.
Diese Kalligrafie besteht aus fünf Zeichen:
夜
Das erste Zeichen bedeutet: Abend und Nacht.
静
Das zweite Zeichen bedeutet: Stille, Ruhe, Gleichmut.
Das erste und zweite Zeichen zusammen kann übersetzt werden mit: „In der Stille der Nacht“.
Es ist Nacht und es ist still. Die Geschäftigkeit des Tages ruht und damit auch die Geschäftigkeit des Geistes. Das ist eine Zeit, in der der Geist von Natur aus entspannt. Er ist mit nichts Besonderem beschäftigt. Da ist fast nichts – außer den natürlichen Geräuschen der Umgebung.
溪
Das dritte Zeichen bedeutet: Bach und auch Tal.
聲
Das vierte Zeichen bezeichnet ein Geräusch.
Es ist dunkel. Die Augen nehmen nichts wahr. Um so mehr kann ich hören. Hier ist nur ein Geräusch. Ich höre einen Bach vorbeifließen. Das ist eine ganz alltägliche Situation. Nichts Besonderes. Das ist zeitlos. Das sind Erfahrungen, so alt, wie es Menschen gibt. Ich wache auf, das Fenster ist auf und ich höre das Rauschen eines kleinen Gewässers.
迎
Das fünfte Zeichen bedeutet: jemanden oder etwas zu empfangen und willkommen zu heißen.
Ich lehne das Geräusch nicht ab. Es stört mich nicht. Ich lade es ein und nehme es an. Es hilft mir. Es hilft mir, nicht abgelenkt zu sein.
Es ist nichts zu tun. Mein Geist ist nicht mit etwas Besonderem beschäftigt. Da rauscht das Wasser. Punkt.
Da ist nur noch dieses Geräusch und sonst nichts mehr. Alles ist dieses Geräusch. Das ist Achtsamkeit.
„In der Stille der Nacht heiße ich das Rauschen eines Baches willkommen.“
Wahrscheinlich ist das ein Zitat aus einem Gedicht des Su Shi aus der chinesischen Song-Zeit. Das war eine Zeit, in der der Zen-Buddhismus in China blühte.

Es wird berichtet, dass der Dichter 1084 das Donglin-Kloster in Lushan besuchte und mit dem Zen-Meister Chang Zong über das Wort „rücksichtslos“ diskutierte.
Su Shi erkannte, dass alle Dinge im Himmel und auf der Erde nicht rücksichtslos sind. Sie sind nicht nur nicht rücksichtslos, sie sind auch Manifestationen der Weisheit des Buddha. Alles in der Welt ist eine Verkörperung Buddhas.
In der Nacht schlief er nicht sofort, sondern lauschte dem Rauschen eines nahe vorbeifließenden Bachs.
Im Morgengrauen schrieb er ein Gedicht. Für seine Ohren ist das Rauschen des Baches die Stimme des Buddha und die Berge in der Ferne der makellose Körper des Buddha. Er sieht in allem den Buddha. Alles ist rein und makellos.
Diese Erfahrung kann man als eine besonderen Technik ansehen: Alles, was ich höre, ist der Buddha. Was ich sehe, sieht der Buddha, was ich höre, hört der Buddha. Die Geräusche der Natur, das Geräusch von Wind, Wasser, Insekten, ja alle Geräusche, ein Lachen, sogar Schreie oder Beschimpfungen sind die Stimme des Buddha.
In einem Kommentar dazu heißt es:
Diejenigen, die wirklich erleuchtet sind, werden sehen, dass Berge nur Berge sind und Wasser nur Wasser. Sie müssen nicht Körper und Sprache des Buddha sein. Berge und Gewässer müssen nichts anderes sein, als sie selbst. Das einzige, das zählt, ist ein friedlicher Geist.

Diese Kalligraphie und viele weitere sind auch in einem Buch enthalten und kommentiert:
ZEN + NICHT-ZEN. Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien
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