Die Sonne scheint – eine japanische Zen-Kalligrafie

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Die Sonne scheint. Zen-Meister praktizieren auch, indem sie Kalligrafien schaffen. Dadurch entstehen Kunstwerke, die uns in unserer Entwicklung weiter helfen. Das sind scheinbar ganz normale Feststellungen: Wenn die Sonne scheint, wird es hell.

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Diese japanische Zen-Kalligrafie besteht aus 5 Schriftzeichen.

 

日  Das erste Schriftzeichen ist das Zeichen für „Sonne“ und „Sonnenlicht“. Es kann auch „Tag“ bedeuten.

Hier steht es für „Licht“ und „Helligkeit“.

Das erste steht in Verbindung mit dem zweiten Zeichen für „abschicken“, „abgeben“, „zeigen“ oder „verursachen“.

Wo es Sonne gibt, da gibt es Licht. Auf einmal blitzt etwas auf und die Dunkelheit ist vollständig verschwunden. Das geht so plötzlich. Gerade war es noch dunkel und jetzt kann ich mir Dunkelheit kaum noch vorstellen. Es bedarf nur eines Lichtstrahls und alles liegt in hellem Licht. Ich kann alles klar sehen.

Diese Sehnsucht – die Sehnsucht nach Sonne, nach Licht, nach einem strahlender Himmel. Als Kind wohnte ich an einem Berg, der die Sonne verdeckte. Der erste richtige Sonnenstrahl kam Anfang März. Da sah ich mittags für kurze Zeit einen ersten Strahl der Sonne. Das war das Zeichen, dass die dunkle Jahreszeit bald ein Ende haben würde. Das Frühjahr kündigte sich an.

Die Sonne verwandelt Stimmungen. Eben war ich noch traurig und machte mir Sorgen. Und dann bin ich ganz heiter gestimmt und kann mich kaum daran erinnern, dass mir eben noch alles grau und dunkel vorkam.

Ich stelle mir einen Menschen vor, dem ein großes Ziel verheißen wurde. Er hat etwas gehört. Im ist ein Wunder versprochen worden. Immer wieder wurde es beschrieben. Da sitzt er und bemüht sich ganz verzweifelt. Da ist so viel Sehnsucht.

Was ist das, Erleuchtung? Was mache ich hier die ganze Zeit? Verschwende ich meine Zeit? Ich sitze und sitze und nichts geschieht. Ich bin kein bisschen weiter gekommen. So lange sitze ich hier schon. Das ist langweilig. Das Gefühl, fest zustecken. Es fühlt sich dumpf an. Als säße ich in einem tiefen schwarzen Loch. Finsternis.

Und urplötzlich blitzt etwas auf. Werde ich verrückt? Was ist das? Ein Gefühl wallt auf. Die Augen sind weit aufgerissen, alles ist in goldenes Licht getaucht, die Ohren meinen ferne Klänge zu hören und etwas ist da, das ich nur mit Glückseligkeit beschreiben kann.

Das blitzt auf wie ein Sonnenstrahl. Da tut sich ein kleiner Spalt in den Wolken auf und auf einmal kann ich das Sonnenlicht sehen. Dann ist es wieder verschwunden und bald darauf gibt es einen weiß gleißender Rand an den Wolken. Das Spiel von Licht und Schatten. Die ganze blendende Sonne. Sie ist immer dagewesen. Aber Wolken hatten sie bedeckt.

Als Drittes findet sich ein Zeichen, das mit „trocken werden“, aber auch mit „Himmel“ übersetzt wird.

Es wird mit dem vierten Zeichen zusammen gelesen. Da steckt die Assoziation „das Empfangene“ und damit auch „Erde“ und „Frau“ drin. Zusammen sind das Himmel und Erde und damit die Gesamtheit von allem, was es gibt. 

Und abschließend kommt ein Zeichen, das „scheinen“, „leuchten“, „strahlen“, „glänzen“ und „funkeln“ bedeutet.

 Himmel und Erde erstrahlen und alles ist in gleißendes Licht getaucht.

sonne

 

Ich war mal ziemlich lange im Krankenhaus und dann gab es irgendwann keine Schmerzen mehr und ich durfte gehen. So ein überwältigendes Gefühl von Freiheit. Ich durfte rumlaufen. Ich bin tatsächlich gerannt. Ich bin durch die Gegend getollt und habe die Arme ausgebreitet und gelacht und nicht viel hat gefehlt und ich wäre wie ein Vogel in den Himmel gestiegen.

Das gilt im Kleinen und im Großen. Vielleicht ist das ein epochaler Umschwung – vom Dunkel ins Licht. Oder es ist nur ein Moment. Aber es ist jetzt da. Jetzt!

Ich kann es auch ganz groß sehen. Egal, ob es mir gerade gut geht oder nicht. Auf dieser Erde kann ich dem Leiden nicht entgehen. Und dann gehe ich den Weg und vertraue und kann irgendwann wirklich sehen: Es gibt einen Ausweg. Da ist ein Zustand ohne Leid. Da sind keine Gedanken mehr, an die sich negative Gefühle andocken können. Ich bin frei.

Und dann vielleicht sogar die Freiheit von dieser Erde, von diesem Körper. Diese Welt ist verlassen und eine neue tut sich auf. Vielleicht ist da Himmel oder Paradies.

Die Zeilen lassen sich wie folgt übersetzen:

Die Sonne zeigt sich und Himmel und Erde sind in funkelndes Licht getaucht.

Das sind die ersten beiden Zeilen eines Gedichts von Daito Kokushi, dem Gründer des Klosters der Rinzai-Schule des Zen Daitoku in Kyoto, der von 1282 bis 1337 lebte. Die beiden folgenden Zeilen heißen:

Wolken lösen sich auf und Berge werden grün.“

Der Kalligraf ist Kyodo Soiku, der 514. Abt des Klosters Daitoku.

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Diese Kalligraphie und viele weitere sind auch in einem Buch enthalten und kommentiert:

ZEN + NICHT-ZEN. Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien

Zen + Nicht-Zen: Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien : Seitz, Tomo J.: Amazon.de: Bücher

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