Ist das Leben ein Traum? Ein Drache in einer Zen-Kalligraphie

Ist das Leben ein Traum?

Das ist die Dynamik eines Drachen, hervorgegangen aus einem Schriftzeichen.

Wenn alles nur ein Traum ist? Vielleicht wache ich einmal auf und merke, ich lebte in einem sehr real wirkendem Film.

Ich könnte wie ein Drache den Wolken nacheifern, immer höher steigen und höher und an einem Ort landen, in dem es keine Erdenschwere gibt und kein Leid.

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Diese japanische Kalligraphie zeigt ein zentrales Zeichen:

Drache“.

Ein ostasiatischer Drachen ist so ziemlich das Gegenteil von unseren Drachen. Das ist nicht so ein schwerer dunkler Geselle, der als Lindwurm über die Erde kriecht. Selbst wenn er sich in die Lüfte schwingt, wirkt er schwerfällig.

In Ostasien leben Drachen in den Lüften und über den Wolken. Nach Belieben schießen sie rasend schnell dahin, wirbeln umher und verharren urplötzliches oder sie gleiten auch gemächlich segelnd – durch nichts begrenzt und völlig frei, nicht greifbar und nicht einzufangen.

Der Drache steht für Vieles. Er steht für das Element Luft, für den Wind, für Diffuses, für Nebel und Rauch, für alles, das sich bewegt und ausdehnt, für Kraft, Kreativität und Spontaneität, für den Atem und letztlich auch für Leere. Mit dem Atem ist das Leben an sich angesprochen und der menschliche Geist, das Lernen, Wissen und Erfahrung, alles, das im Geist vor sich geht. Man denkt an Menschen, die aufgeschlossen sind für Neues, die neugierig sind und etwas herausfinden und erforschen möchten mit einer gewissen lockeren und unbeschwerten Grundeinstellung.

Der Drache beschreibt einen ungebundenen Geist, der jedes Hindernis überwindet und sich hinwenden kann wohin er will bis in ungeahnte Weiten und Höhen. Er steigt höher und höher und vereinigt sich schließlich mit dem unendlichen leeren Raum. Da ist Weisheit und Erleuchtung – die höchste Form, die der Geist erreichen kann.

Tiger als Gegenpart

Der Gegenpart zum Drachen ist der Tiger. Er bewegt sich auf der Erde. Tiger sind real – einsame Kampfmaschinen voll geballter Kraft. Sie springen weit, landen aber immer wieder auf dem Boden.

Das Element des Tigers ist die Erde, alles, das ich anfassen kann. Nehmen wir einen Stein. Steine lassen sich nur schwer bewegen und verändern. Da ist Schwere, Stabilität, Beharrung, der Wunsch, dass alles so bleibt, wie es ist. Da ist auch etwas, das mir Sicherheit, Rückhalt und Vertrauen gibt.

Ein gutes Bild für unsere normale, handgreifliche Realität und für unseren alltäglichen Geist.

Tiger und Drachen sind Pole und ergänzen sich: Himmel und Erde, oben und unten, geistig und körperlich, Kräfte der Beharrung und kühne Wagnisse.

Entscheidung

Gibt es Drachen oder sind das Fabeltiere? Wie entscheide ich mich? Bleibe ich auf dem Boden, hier auf der realen Erde oder erhebe ich mich in die Luft. Ist das eine real oder das andere? Könnte es sein, dass die Sphäre des Tigers, diese unsere reale Welt, das Hirngespinst ist?

In dieser Welt, in der ich lebe, kann ich doch alles anfassen. Das gibt es zweifellos. Aber wenn das alles ein Traum ist? Im Traum erscheint auch alles real. Vielleicht ist das ganze Leben eine Illusion. Vielleicht wache ich einmal auf und merke, ich lebte in einem sehr real wirkendem Film.

Dann ist der Drache vielleicht das bessere Bild. Vielleicht gibt es nur meine Gedanken. Ändert sich mit dem Tod die Perspektive? Werde ich dann vom Tiger zum Drachen? Dann verlasse ich vielleicht diese real erscheinende Hülle und wäre so frei wie ein asiatischer Drache.

Ich könnte den Wolken nacheifern, immer höher steigen und höher und an einem Ort landen, in dem es keine Erdenschwere gibt und kein Leid.

Vielleicht könnte ich diese grenzenlose Weite spüren, den leeren Raum betreten, in ihm aufgehen, mich auflösen und zu etwas anderem werden und alle Illusionen und Vorstellungen hinter mir lassen und dann dort bleiben für immer. Keine Bilder, keine Vorstellung, nur Klarheit und unendliche Weite, die jenseits von allem ist.

Die Kalligraphie

Mein Gott, was ist das für eine Kalligraphie! Das ist nicht die Abbildung, das ist die Dynamik eines Drachen, hervorgegangen aus einem Schriftzeichen, ohne dieses erkennbar nachzuzeichnen. Das ist Action Painting 150 Jahre vor Jackson Pollock. Man spürt quasi, wie da etwas durch die Luft schießt, wirbelt, kurz verharrt und weiter saust.

Einem solchen Meister geht es nicht darum zu schreiben. Letztlich geht es um einen Zustand. In der Art, wie er schreibt, zeigt er etwas von sich selbst.

Der Kalligraph

Über den Menschen, der das geschaffen hat, geben nur seine Signatur und seine Siegel Auskunft. Da steht etwas, das mit „Godai dojin Dokkoku“ angegeben wird. Er benennt sich nach den fünf Elementen nach buddhistischer Tradition: japanisch „Godai“. Mehr weiß ich über ihn nicht. Ich vermute, dass diese Kalligraphie um 1800 entstanden ist.

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Diese Kalligraphie und viele weitere sind auch in einem Buch enthalten und kommentiert:

ZEN + NICHT-ZEN. Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien

Zen + Nicht-Zen: Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien : Seitz, Tomo J.: Amazon.de: Bücher

Hier auf dieser Webseite gibt es Bilder zur Meditation und weitere Kalligraphien und viele Blog-Artikel dazu:

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