Jetzt – dieser Augenblick. Bin ich wirklich hier?

Jetzt bedeutet, ich bin durch nichts abgelenkt und weiß gleichzeitig, dass ich jetzt hier bin. Ich existiere zwar in jedem winzigen Augenblick. Doch fast immer bin ich nicht da, weil ich immer mit irgendetwas beschäftigt bin. Entweder wühle ich in der Vergangenheit oder ich bin in der Zukunft. So verpasse ich mich.

jetzt

Was heißt „jetzt“? Jetzt, das ist dieser Augenblick. Dieser Augenblick ist immer und immerzu. Immer wieder ganz kontinuierlich ist da ein neues Jetzt.

Wahrscheinlich werde ich es nicht mitbekommen. Warum? Weil ich nicht hier bin. Wieso bin ich nicht hier? Da sitzt doch immer derselbe, der sich „Ich“ nennt. Wenn mich jemand betrachten würde, der würde mich ununterbrochen sehen. Er würde meinen Körper, meine äußere Hülle sehen.

Ich bin da in jedem winzigen Augenblick. Und ich bin doch nicht da, weil ich immer mit irgendetwas beschäftigt bin, das mich davon abhält, bewusst hier zu sein. Selbst wenn ich nur sitze oder aus dem Fenster schaue, mache ich etwas. Ich denke an etwas, ich träume, ich schaue mir etwas an. Wo ich gerade bin, ist sofort vergessen.

Entweder wühle ich in der Vergangenheit. Wie das Verhältnis zu meinem Vater war, der gar nicht mehr lebt. Was das mit mir gemacht hat. Oder was ich mal in Indien erlebt habe. Meine Augen nehmen etwas wahr und schon kommt eine ganze Kettenreaktion in Gang. Beim Laufen sehe ich Schafe auf einer Wiese. Oh, die Schafe waren aber sonst nicht da. Die haben aber eine dicke Wolle. Da habe ich schon mal Bilder gesehen. War das nicht in Australien? In Australien wird viel Kohle abgebaut. Wird die alle nach China exportiert? In China wird ohnehin viel Kohle verbrannt. Ach, ich war doch mal in Peking. Da…

Oder ich bin in der Zukunft. Ich fühle mich unwohl. Was könnte ich jetzt machen? Es wäre schön, wenn ich Urlaub hätte. Da gibt es doch einen wunderbare Strand in Kuta auf Bali.

Oder ich bin im Haus und suche etwas. Mein Blick fällt aus dem Fenster auf die Reste der Tomatenpflanzen. Ach ja, ich wollte die Strünke abschneiden. Ich gehe, und hole die Zange in der Küche. Ich wollte noch die Schale wegstellen …

Letztlich geht das das ganze Leben lang. Irgendwie verpasse ich mich.

Es geht darum, wach zu werden. Wir denken, wir sind wach, wenn wir nicht schlafen. Wir schlafen nicht. Aber wir sind auch nicht richtig wach. Wir sind mit etwas beschäftigt, was nicht hier und jetzt ist. Ein Experiment: Sag mal „jetzt“ und halte inne. Was ist jetzt? Oh, draußen scheint die Sonne. Ich fühle meine Hände auf der Tischplatte. Und dann bin ich wieder woanders.

Schau mal, wie lange du bewusst bei einer Sache bleiben kannst. Ich schlage da einen kleinen Versuch vor, den du gleich in die Tat umsetzen kannst. Wahrscheinlich trägt du gerade eine Armbanduhr, die einen Sekundenzeiger hat. Beobachte den Sekundenzeiger. Versuche, ihn eine Minute lang zu beobachten ohne abzuschweifen. Das müsste doch zu schaffen sein. Nur eine einzige Minute. Schau mal auf deine Uhr. Jetzt.

Wie oft merke ich wirklich dieses „jetzt“? Wenn ich ehrlich bin: fast nie.

„Jetzt“ bedeutet, ich bin jetzt hier, ich bin durch nichts abgelenkt und weiß gleichzeitig, dass ich jetzt hier bin. Ich sitze hier in dieser kleinen Ferienwohnung im Schrumpftal an diesem Sonntag und haue diese Zeilen in den Laptop. Genau jetzt. Ich spüre, wie ich auf dem Stuhl sitze. Während ich das schreibe, merke ich und mache mir bewusst: ich bin jetzt hier. Und schon bin ich wieder abgelenkt.

Jetzt. Ich bekomme alles mit, was jetzt gerade hier ist. Ah, jetzt war es ganz ruhig. Ah, da zwitschert ein Vogel. Wieder Stille. Ich bin hier. Hier. Da hinten brennt eine Glühlampe. Ich sehe den Fußboden. Ein Fußboden aus Stein in einem schönen Muster. Und ich fange nun nicht an, nachzudenken, ob der Fußboden nun mediterran ist und dass Italien doch ein schönes Land ist. Ich sehe den Fußboden. Der ist da. Punkt. Nichts weiter. Ich hefte keinen Gedanken daran. Da ist ein Fußboden. Und da brennt eine Glühlampe.

Beim Laufen schaue ich auf die Gehsteigplatten. Sie sind wirklich da. Ich schaue aus mir heraus, als würde ich aus einem Auto heraus schauen oder einen Film ansehen. Ich laufe und sehe den Boden, spüre ihn, sehe den Hügelzug da hinten. Die kleine Wallfahrtskirche dort oben. Ich höre und sehe die Krähen. Ich bekomme mit, was jetzt ist. Nicht 5 Minuten später. Jetzt.

Ich nehme wahr. Und nichts anderes. Und wenn da etwas anderes ist, dann merke ich: Ah, da ist jetzt dies andere. Vielleicht merke ich, dass meine Füße kalt werden. Und nichts weiter. Nicht: Oh, ich hätte wärmere Socken mitnehmen sollen. Ach, da habe ich doch diese schönen Socken mit der knallroten Spitze. Nein. Die Füße sind kalt. Aha. Ich bin mit meinem Bewusstsein hier und nur hier. Kein anderer Gedanke.

Am besten gelingt mir das bewusste Im-Augenblick-sein noch in der Meditation. Aber auch nur manchmal. Ich mache nichts, aber ich bin bewusst. Ich bin da. Nicht in der Vergangenheit. Keine alten Geschichten. Und auch nichts, was ich jetzt noch machen will. Ich bin einfach nur hier. Vielleicht kann ich anfangen, meinen Körper zu fühlen. Wie fühlt sich der Körper auf der Unterlage an? Ist mir kalt oder warm? Bin ich aufgeregt oder gelangweilt?

Einfach sein. Hier. Die Gedanken, die Auftauchen sehe ich. Und lasse sie ziehen. Jetzt. Dazu sind vielleicht sogar Hilfsmittel sinnvoll. Alle halbe Stunde ertönt ein Signal. Handy, Schaltuhr, App. Ach ja. Ich halte inne. Jetzt.

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Tomo

    Diesen Kommentar habe ich bekommen:
    Kennst Du Jan-Willem van de Weterings Bücher über seine Erfahrungen in Zen-Klöstern? Seine Beschreibungen von Meister, Meditation, Sitzen, Koans (eines löst sich im Winterwald auf einem Plumpsklo) sind so menschlich und tief, so normal und so wundersam, wie die Lehren eben sind. Nichts „Besonderes“ eben. Man braucht kein besonderes Talent, es ist keine Gnade, man muss es sich nicht verdienen, alle fühlenden Wesen haben die Buddhanatur, manchen bewußter, manchen noch nicht so. Wir alle werden den Zustand des Nirvana erreichen, oder erkennen, daß wir ihn schon längst erreicht haben. Es ist so einfach, und deshalb machen wir es uns so schwer.

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