Rinpoche – Guru Rinpoche oder auch Padmasambhava, der Buddha unserer Zeit, in seinem Paradies und reinen Land. Ein Bild als Orientierung für einen jenseitigen Ort oder als Beschreibung eines Wegs nach innen, als Ausdruck einer Welt der Schönheit, Klarheit und Liebe.
Vor mir hängt ein tibetisches Thangka aus dem 18. Jhd. Diese Rollbilder mit ihren vielen Details, die alle eine besondere Bedeutung haben, sind mehr als nur ein Bild.
Es zeigt Padmasamva, der von vielen als der Buddha unserer Zeit angesehen wird, in seinem Paradies und reinen Land.
Diese Darstellung erschließt sich auf mehreren Ebenen.
Tibeter haben sich dieses reine Land als einen konkreten Ort vorgestellt, der sich auf einer Insel südwestlich von Indien befinde. Die Mitte dieser Insel bildet ein großer, dunkler See, aus dem sich die mächtigen Gipfeln eines kupferfarbenen Bergs erheben mit einem Palast.
Ich kann dies Bild auch als Orientierung für den jenseitigen Ort sehen, den ich nach meinem Tod als meinen Aufenthaltsort anstrebe.
Und ich könnte es auch als die Beschreibung für einen Weg in die Weiten des inneren Kosmos sehen, als lebendiger Ausdruck einer Welt, die im Geist jedes fühlenden Wesens bereits angelegt ist, ein Weg zu Schönheit, Klarheit und Liebe. Eine lebendige Vision, leuchtend, fremd und letztlich doch vertraut – ein reines Land, das sich nicht jenseits der Welt befindet, sondern jenseits der Illusion.
Es heißt, der rötlich glänzende Berg reiche tief hinab bis in das Reich der Schlangengötter, der Nagas, berühre im mittleren Abschnitt das Reich der Dakinis und rage mit der Spitze in das Reich der Götter.
Die Insel sei bewohnt von wilden, menschenfressenden Dämonen, den Rakshasas.
Die Insel auf der Insel ist nur über eine ganz schmale lange Brücke zu erreichen. Auf der anderen Seite leben Einsiedler in Felsenhöhlen, die sich auf den Eintritt in dies reine Land vorbereiten.
Wer dieses Paradies erreichen will, muss nicht nur durch das Land der Dämonen, das dunkle Wasser überwinden und sich durch eine Felslandschaft schlagen, sondern auch noch Einlass finden. Denn der Palast ist von einer sechseckigen Mauer umgeben, deren vier Tore von den Weltenhütern bewacht werden.
Virudhaka, der Hüter des Südens, zeigt sich mit einem Schwert am linken Tor und rechts befindet sich Vaiśravaṇa, der Hüter des Nordens. Er ist auch Kriegsgott und verleiht als Reichtumsgott spirituellen und materiellen Reichtum, symbolisiert durch den juwelenspeienden Mungo an seiner Seite. Virupaksha, der Hüter des Westens, ist hier nicht zu sehen
Wer es bis hier geschafft hat, wird von dem Laute spielenden Dhritarashtra empfangen, dem Hüter des Ostens, der auch Herr der himmlischen Musikanten ist.
Nachdem das Tor endlich durchschritten ist, gelangt der Suchende auf eine von der Mauer begrenzte Veranda, die rundum den Palast umgibt.
Wesenheiten auf der Veranda
Hier manifestiert sich Padmasambhava in den unterschiedlichsten Formen, die gleichzeitig Episoden aus seinem Leben illustrieren. Sie zeigen, dass er selbst alle Stationen auf dem Weg zu einem vollverwirklichten Wesen durchlaufen ist und gleichzeitig, dass er jegliche Gestalt annehmen kann und repräsentiert.
Ganz links zeigt sich Padmasdambhava als Sengé Dradrok; in dieser zornvollen Form besiegte er Gegner im Debattieren. Rechts daneben erscheint er als der Gelehrte Pema Jungné und weiter als junger Prinz in Uddiyana, Pema Gyalpo, als Ur-Buddha Vajradhara in Vereinigung mit Mandarava, Orgyen Dorje Chang, als Buddha, Shakya Sengé, als Weisheitskünder in Kaschmir, Loden Choksé, als zerzauster Yogi, Nyima Ozer und schließlich als Dämonenzähmer in Bhutan, Dorje Drolo.
Padmasambhava
Ganz prominent und unübersehbar thront Padmasambhava in seiner Hauptform als Guru Tsokye Dorje, der Lotosgeborene, in der Mitte des Bildes und füllt fast den ganzen Palast aus.
Das feine Gesicht mit zugleich streng und mitfühlenden Zügen und in Bann ziehenden Augen.
In seiner linken Hand, die in der Geste der Meditation flach im Schoß liegt, hält er eine weiße Schädelschale, die die Reinigung von Ich-Bezogenheit und die Verwirklichung absoluter Leere symbolisiert, gefüllt mit Nektar, einem Symbol für die transformierte Weisheit des Geistes. In der Schädelschale steht eine Vase, die das Elixier der Unsterblichkeit enthält und symbolisch darstellt, dass Padmasambhava eine Manifestation von Amitayus, dem Ur-Buddha des unendlichen Lichts und Lebens ist.
Die rechte Hand greift das Vajra-Zepter in einer Geste des Drohens.
Hinter seiner linken Schulter ruht der Khatvanga, der Stab des Meisters. An dessen Spitze befinden sich ein Vajra-Kreuz (Symbol der Vereinigung von Weisheit und Mitgefühl), die Vase mit dem Elixier, drei Köpfe (frisch abgeschlagen, in Verwesung und als Schädel, als Symbole für die Überwindung der drei Geistesgifte Begierde, Hass und Unwissenheit), sowie ein Dreizack, welcher die Meisterschaft über die drei Kanäle des feinstofflichen Systems symbolisiert. Und umwunden von Bändern aus Seide – ein tantrisches Insigne, das die Integration von Leben und Tod, Weisheit und Methode verkörpert.
Padmasambhavas Gewänder und sein Schmuck verdeutlichen einmal mehr seine Vielfalt: ein hier goldenes Untergewand unter einem blau-grün gemusterten Übergewand eines spirituell Praktizierenden, über das eine königliche dunkle, rötlich-braune Robe geworfen ist. Mit roten und goldenen Borten, die auf seine Eigenschaft als Bodhisattva und als Mönch hinweisen.
Er trägt den roten Hut seiner Heimat Uddiyana mit der dreispitzigen hochgeschlagenen Krempe, gekrönt von einem Vajra und einer Geierfeder, einem Symbol für umfassende Einsicht.
Seine beiden Gefährtinnen und Schülerinnen, Mandarava und Yeshe Tsogyäl, selbst verwirklichte Meisterinnen und Buddhas, begleiten ihn.
Der Palast
Der dreistöckige Himmelspalast ist hier nur angedeutet. Es gibt ein nicht weiter detailliertes zweites Geschoss, ein kleines Obergeschoss sowie ein großes goldenes Dach. Die drei Stockwerke stehen für die 3 Kayas, die Daseinsformen. Damit wird angedeutet, dass Padmasambhava auf allen diesen Ebenen existiert.
Im obersten Stock erscheinen drei Buddhas in einer Nische, ergänzt durch zwei weitere links und rechts. Das gibt Raum für Interpretationen. In der Mitte, das könnten die Buddhas der drei Zeiten sein und alle zusammen könnten für die 5 Ur-Buddhas stehen. Damit wären auch Amitabha und Avalokiteshvaras angesprochen, deren Emanation Padmasambhava ist.
Den ganzen himmlischen Palast umschließt ein schmaler Regenbogen. Oben über dem goldenen Dach versammeln sich Scharen himmlischer Wesen. Sie singen, musizieren und tragen Banner und Ehrenschirme.