Japanisches Gedicht. Ein Gedicht, das ein altes japanisches Tuschbild begleitet. Blüten über Blüten öffnen sich. Vor meinem geistigen Auge breitet sich ein Blumenteppich aus. Der Winter ist alt geworden. Bald wird die Kälte überwunden sein.
Hier geht es um ein Gedicht, das ein altes japanisches Tuschbild begleitet.
Chinesische und japanische Gedichte funktionieren anders – wenigstens die schriftlich festgehaltenen. Diese Schriftzeichen sind keine Lautzeichen; sie sind aus Bildern entstanden – fast wie Piktogramme. Ein Zeichen schafft unmittelbar ein Bild.
Man kann auch sagen, sie sind wie Farbtupfer, die nebeneinander gestellt werden und erst in der Zusammenschau ein Ganzes ergeben. Sie lassen viel Platz für Assoziationen. Eine Übertragung in unsere Sprache ist immer nur eine von vielen Möglichkeiten.
百 hundert
花 Blüte, Schönheit
開 öffnen, Tür
Blüten über Blüten öffnen sich. Vor meinem geistigen Auge breitet sich ein Blumenteppich aus.
日 Tag, Sonne
無 kein, nichts
春 Frühjahr
Der Frühling ist noch nicht gekommen. Die Landschaft sieht immer noch kahl und dunkel aus.
色 Farbe
Die Blüten tragen Farbe in die Welt.
群 Gruppe
木 Baum, Gehölz
Eine Gruppe von Bäumen
彫 schnitzen, Bildhauer
Als ob der Winter sich als Bildhauer betätigt und mit den kahlen Bäumen eine Skulptur geschaffen hätte.
時 Zeit, Augenblick
有 haben, sein
Ein ganz bestimmter Augenblick im Ablauf der Jahreszeiten ist gekommen.
歳 alt
寒 kalt, die Zeit vor dem Frühlingsanfang
Der Winter ist alt geworden. Bald wird die Kälte überwunden sein.
Heute haben sich hundert Blüten geöffnet
Farbtupfer im zeitigen Frühjahr
Eine kahle Gruppe von Bäumen – wie eine Skulptur
Bald wird die Kälte überwunden sein.
Dieses Gedicht ziert die Tuschezeichnung eines Bambus aus dem Japan des 19. Jahrhunderts oder früher. Aus den Siegeln geht ein Name hervor – Honsei. Mehr weiß ich nicht. Die Zeichnung ist sicher von ihm. Ob er auch das Gedicht selbst geschaffen oder nur zitiert hat – wie es in Ostasien durchaus üblich war – auch das ist mir nicht bekannt.
Hier hätte ich etwas über Bambus erwartet. Ich finde das Gedicht passt trotzdem. Der immergrüne Bambus zeigt sich auch im Übergang vom Winter zum Frühjahr. Diese Gedicht verbindet ihn mit einer ganz bestimmten Stimmung. Ich kann spüren, wie die Kälte weicht und sich die wärmere Jahreszeit ankündigt. Die Jahreszeit ändert sich – der Bambus bleibt. Er bewegt sich, biegt sich, aber ist nicht unterzukriegen. Die Jahreszeiten verändern sich ständig, bleiben aber in ihrem Ablauf immer gleich – und sind dann dem Bambus gar nicht so unähnlich.
Diese Kalligraphie und viele weitere sind auch in einem Buch enthalten und kommentiert:
ZEN + NICHT-ZEN. Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien
Zen + Nicht-Zen: Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien : Seitz, Tomo J.: Amazon.de: Bücher
Hier auf dieser Webseite gibt es Bilder zur Meditation und weitere Kalligraphien und viele Blog-Artikel dazu:
https://www.raumfuermeditation.de/zur-ruhe-kommen/
Hier geht’s zu den Tipps zur Meditation:
https://www.raumfuermeditation.de/meditation-tipps/
Das ist die Startseite zu „Raum für Meditation“: