Koan. Die Geschichte vom 6. Patriarchen des Zen-Buddhismus. Eine Handlungsanweisung für die Erleuchtung.

Koan. Das ist mehr als eine Geschichte aus der chinesischen Vergangenheit. Das ist auch keine Geschichte, die nur Zen-Menschen angeht. Das ist etwas, das mit mir zu tun hat. Sie zeigt, wie Erleuchtung tatsächlich geschehen kann.

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Die Geschichte vom Sechsten Patriarchen

Das ist eine ganz wichtige Geschichte. Sie zeigt, wie Erleuchtung tatsächlich geschehen kann.

Wer sich mit Zen beschäftigt, kennt wahrscheinlich die Geschichte von dem Sechsten Patriarchen, wie sie etwa in der Koansammlung des Mumon im 23. Beispiel geschildert wird:

Der Mönch Shinshu verfolgte den Sechsten Patriarchen bis nach Daiyurei. Als der Mönch den Patriarchen endlich erreicht hatte, blieb dieser stehen und konfrontierte ihn mit der Frage:

Was ist das wahre Selbst des Mönchs Shinshu in diesem Augenblick?“

Es wird berichtet, dass der Mönch darauf erwacht sei.

Was ist da geschehen?

Dieser Obermönch hatte sich große Hoffnung auf die Nachfolge gemacht und die Mitmönche hatten das als selbstverständlich angesehen. Er hatte so lange studiert, kannte sich aus, war belesen – ein echter Gelehrter. Und nun war ein ganz ungebildeter Küchengehilfe, der nicht einmal lesen und schreiben konnte, zum Nachfolger ausgewählt worden.

Der Mönch war wie von Sinnen. Wut, Hass und Mordlust wallten auf. Diese Zurücksetzung, diese Demütigung – das war zu viel. Man stelle sich vor: Ein buddhistischer Mönch will jemanden umbringen. Das ist so ziemlich das Schlimmste.

Von unglaublicher Wut getrieben verfolgte er den anderen eine weite Strecke lang und erreichte ihn endlich. Und jetzt?

Der Verfolgte legt die Symbole des Patriarchen, die Schale und den Umhang, einfach auf den Boden und sagt:

Nimm sie doch! Das sind doch nur leere materielle Dinge. Entscheidend ist dein Geist. Wer ist der, der da vor mir steht und wütend ist?“

Hier ist es überdeutlich. Der Obermönch war die ganze Zeit darauf fixiert, den anderen zu verfolgen. Wo ist er? Welchen Vorsprung hat er? Wann habe ich ihn eingeholt? Er ist so sehr mit seiner Demütigung, mit seinem Hass und damit beschäftigt, wie er sich an dem Rivalen rächen kann. Er giert danach, es ihm heimzuzahlen. Seine Emotionen und Gedanken haben ihn lückenlos ausgefüllt. So ist er vollständig nach außen gerichtet. Er hat nicht die geringste Chance, sich selbst zu sehen.

Diese simple Frage trifft den Obermönch völlig unvorbereitet:

Wer ist der, der da steht und wütend ist?“

Das ist ein gewaltiger Perspektivenwechsel. Mit einem Schlag sind ihm die Objekte seiner Obsession abhanden gekommen: das Bemühen, das Wollen, der Zorn, der Hass, das Ziel, die Vergeltung. Ob da eine Robe liegt oder ein anderer Mensch vor ihm steht – das spielt nicht nur keine Rolle mehr – das ist alles wie weggeblasen. Der Gedankenstrom ist unterbrochen. Der Beobachtende ist weg. Da ist nur noch Gewahrsein.

Je stärker der Hass, um so stärker die Erleuchtungskraft. Wie ein Bombe muss das gewirkt haben.

Urplötzlich ist der Mönch mit sich selbst konfrontiert. Wer ist der, der da gerade Wut hat? Er will den fassen. Aber da ist niemand. Der, der die Wut hat, ist abhanden gekommen. Nicht in dem Sinne, dass da niemand mehr steht. Wahrscheinlich hätte ein außenstehender Dritter da einen ziemlich komischen Gesichtsausdruck gesehen.

Der normale bekannte konventionelle Geist kollabiert. Er verschwindet vollständig und legt einen Geist frei völlig ohne Inhalt in seiner transparenten vibrierenden überwältigenden Pracht. Absolut nichts blieb übrig, an dem sich irgendetwas festhalten könnte. Die Dinge rutschen einfach ab. Jetzt schaut der Geist in den Geist und bemerkt sich selbst ganz direkt.

Da ist vollkommene Wachheit und sonst nichts. Gar nichts. Der Geist ist blank. Da ist nur noch der Geist selbst – nackt, pur, ohne jeglichen Inhalt. Da gibt es keine Gedanken und Emotionen, kein Ego, keine Bewertung, kein Gut oder Schlecht, kein Ich und kein Du und keine Zeit. Es ist alles wie vor der Schöpfung, als noch nichts da war. Alle Begrenzungen sind aufgelöst. Nichts umgibt dieses Es als dieser unendlich weite leere Raum.

Nicht irgendeine Geschichte aus der ganz fernen Vergangenheit in China

Hier geht es nicht um irgendeine Geschichte aus der ganz fernen Vergangenheit in China. Das ist auch keine Geschichte, die nur irgendwelche Zen-Menschen angeht. Das ist etwas, das mit mir zu tun hat, was auch immer ich praktiziere oder auch nicht praktiziere.

Geht es mir nicht meist genau so wie dem Obermönch? Bin nicht auch ich ständig nach außen gerichtet mit meiner gesamten Aufmerksamkeit? Selbst wenn ich mal nicht schlafen – mit offenen oder geschossenen Augen? Da ist immer etwas. Ich sehe Menschen, Tiere, Häuser. Auch meine Gedanken und Gefühle sind außen.

Das ist eine konkrete Handlungsanweisung. Ich bin es, der da gerade gefragt wird – genau in diesem Augenblick. Wer ist es, der dies liest? Wer denkt da gerade darüber nach? Wer ist das?

Das kann ich genau jetzt hier praktizieren.

Was geschieht dann?

Anm.

Vielleicht war es auch ein klein wenig anders. Im 23. Beispiel der Koan-Sammlung des Mumon verfolgt den Patriarchen der Mönch Myo. Und von Mordlust wird dort auch nichts gesagt. Aber trotzdem …

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