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Das ist die Kalligraphie einer Frau – Joo Riho oder mit ihrem spirituellen Namen Tokugan Riho – der Gemahlin eines Kaisers, die später Nonne wurde und buddhistische Meisterin. Sie leitete als Äbtissin ein Zen-Klosters im Kyoto des 17. Jahrhunderts.

Ich bin beeindruckt von der Kraft, die diese Zeichen ausstrahlen. Selbst wenn man nichts über deren Bedeutung weiß, genügen sie allein als Kunstwerk und als spirituelle Manifestation. Das sind nicht nur Kunstäußerungen – da offenbart sich ein Zustand des Geistes.

Ein starker, fast schon monumentaler Pinselschwung. Monumental geht auch auf kleinem Raum. Dynamisch, kraftvoll, voller Energie. Und große Ausgewogenheit der Komposition. Das ist perfekt. Da kann man nichts hinzufügen oder verbessern.

Da stehen zwei Schriftzeichen, die von rechts nach links zu lesen sind. Das erste Zeichen wird mit Hügel angegeben, das zweite bezeichnet eine Kiefer – japanisch „kosho“ .

Die Vorstellung von einer Kiefer auf einem Berg.

松   Kiefer

Die Kiefer hat in Ostasien und auf der ganzen Welt eine Vielzahl von Assoziationen. Was man alles in „Kiefer“ hinein interpretieren kann. Was schwingt da mit?

Als immergrüner, langlebiger Baum, der auch in unwirtlicher Umgebung überdauert und auch wegen seines unverderblichen Harzes gilt die Kiefer in China als Symbol der Langlebigkeit und Unsterblichkeit, der Lebenskraft, der Stärke, der Beständigkeit, der Selbstzucht und der beständigen Geduld und einer Persönlichkeit, die die Schwierigkeiten des Lebens unbeschädigt bewältigt. Sie ist ein treffendes und schönes Bild für Alter und langes Leben. In Asien wünscht man Menschen neben Glück ein langes Leben, weil das spirituell wichtig ist, um lange praktizieren zu können.

Eine Kiefer auf einem Hügel. Sie ist knorrig und standfest. Sie hat einen dicken Stamm und tiefe und breite Wurzel, die fest im Fels verankert sind. Nichts kann ihr etwas anhaben. Sie hat etwas Erhabenes, Ehrwürdiges, wie ein uralter, verehrter Meister: Der „erhabene Herr Kiefer”.

Eine Kiefer lehrt allein durch ihr Dasein. Was hat sie alles erlebt? Sie steht da und trotzt dem Wind und dem Wetter. Ob Sturm oder Hagel, Schnee oder Hitze – sie steht einfach da, wie ein Fels.

Man kann eine Verbindung nach oben sehen, zum Himmel und zum göttlichen Bereich. Ein Baum als Achse der Welt, als Verbindung von Himmel und Erde.

Es gibt unnütze Dinge. Manche Kiefern sind zu nichts zu gebrauchen. Da gibt es die schiefe, krumme und gewundene Kiefer, aus der man nichts machen kann, kein Brett, keine Stange, keine Balken. Sie wird in China und Japan geradezu als Beispiel für nicht weiter Nützliches dargestellt.

Aber. So eine Kiefer hat etwas Besonderes. Man kann sie schön finden und bewundern. Der Nutzen des Nicht-Nützlichen.

Dieses Bild der Kiefer kann man natürlich auch auf die Meditation beziehen. Nur sitzen – standfest, unbekümmert und unerschütterlich einfach kontinuierlich dabei bleiben. Nur sein.

Und das alles steckt in diesem einen einziges Schriftzeichen. Nur ein Zeichen – aber was für eins. Alles, was man zu Kiefer sagen kann, ist darin.

Zur Meisterin, die diese Kalligraphie geschaffen hat:

Joo Riho oder Tokugan Riho (1672–1745) wurde die elfte Gemahlin des Kaisers Gosai. Sie trat 1689 in das Nonnenkloster Hokyoji der Rinzai-Zen-Konfession in Kyoto ein. 

Sie studierte Malerei und Kalligraphie und schuf inspirierende Porträts für ihr kaiserliches Kloster. 1689 wurde sie die Äbtissin ihres Klosters.