Enso – die Kalligraphie eines japanischen Zen-Meisters

Enso. Entdecke die Lehren der großen Meister für dich und lass sie lebendig werden. Auch wenn es letztlich nur eine Wahrheit gibt. Ich kann mir meiner Wahrheit nie gewiss sein. Ich muss immer wieder darum ringen, damit sie frisch und lebendig bleibt.

enso

Enso: Ein Tuschekreis

Das Bild zeigt ein Enso oder einen Tuschekreis und eine Beischrift. So ein Kreis ist ein Symbol für Leere. Ein Kreis hat eine Begrenzung und umschließt damit etwas. Aber innen ist er leer. Die Leere hat damit eine Form und ist trotzdem leer.

Und ein Kreis hat keinen Anfang und kein Ende – unendlich. Und er ähnelt der Null, die selbst keinen Wert hat, aber den Wert anderer Zahlen in immer weitere Höhen treiben kann.

Ein fast perfekter Kreis, der in einem einzigen kraftvollen Schwung mit einem nassen Pinsel gemalt ist. Er ist nicht mit dem Zirkel geschaffen. So ein Kreis wäre perfekt, aber tot. Dieser Kreis ist lebendig. Der Meister demonstriert damit seine Verwirklichung.

Die Beischrift

Die Beischrift besteht aus drei Reihen. Gelesen wird von oben nach unten und von rechts nach links.

3 2 1

    宗    皆    

             入   勢

Reihe 1

– zehn

– Richtung

– Energie

Im Ausdruck „zehn Richtungen“ steckt die Vorstellung von ungeheurer Ausdehnung, unendlichem Raum. Dieser Raum ist leer, doch er kann sich mit allem Denkbaren füllen. Er beinhaltet letztlich alles, was möglich ist.

Reihe 2

– Person

– alle

– Eingang, eintreten, übereinstimmen mit

In diesen Raum eintreten und daran teil haben.

Reihe 3

– neu, frisch

– das Modell, das Vorbild der Vorfahren, das hauptsächliches Ziel, die großen Meister

Folge den großen Meistern. Das heißt: entdecke ihre Lehren für dich und lass sie lebendig werden. Auch wenn es letztlich nur eine Wahrheit gibt. Ich kann mir meiner Wahrheit nie gewiss sein. Ich muss immer wieder darum ringen, damit sie frisch und lebendig bleibt.

Worauf will uns dieser Meister hinweisen?

Ich habe ziemlich mit dem Text gerungen. Er gibt so viele Interpretationsmöglichkeiten. Die ins Auge springenden haben mich nicht überzeugt. Das wären Übertragungen wie:

„In den zehn Richtungen bekennen sich einflussreiche Leute zur neuen Glaubensrichtung.“

Ich glaube nicht, dass ein Meister solche banalen Feststellungen treffen würde.

Es geht darum, in diesen Raum einzutreten. Zu erkennen, was möglich ist. Das, was wir jetzt für real halten, ist nicht alles was es gibt und was möglich ist und es wird auch nicht so bleiben, wie es ist.

Auch wenn es letztlich nur eine Wahrheit gibt. Ich kann mir meiner Wahrheit nie gewiss sein.

Nichts bleibt für immer. Die Wahrheit ist immer wieder neu. Selbst meine eigene Wahrheit. Ich muss immer wieder darum ringen, damit das, was ich erkenne, wahr und frisch bleibt.

 

Unendlicher Raum

voller Möglichkeiten

mit dabei sein

immer wieder neu

vertrauen in die eine Wahrheit

 

Der Meister

Eine Tuschemalerei aus Japan um 1800. Der Meister, der dieses Enso geschaffen hat, ist wahrscheinlich ein Zen-Meister der Rinzai-Schule, Chuhô Shogetsu, der von 1759 – 1838 lebte und der 418. Abt des Daitokuji-Klosters in Kyoto war. Er nennt sich hier auch 道 人 – Ein Mann auf dem Weg.

Ein Zitat

Der Text stammt aus „Die Meißelschrift vom Glauben an den Geist“  des dritten Patriarchen des Zen aus dem China des 7. Jahrhunderts Seng-ts’an (japanisch Sosan). 

„Nicht-Zwei,

alles ist gleich –

es gibt nichts,

was nicht enthalten ist.

Die Weisen

aus den zehn Richtungen

treten alle

in diese Wahrheit ein.“

Das ist die Fassung aus Seng-ts’an:  Die Meisselschrift vom Glauben an den Geist. Das geistige Vermächtnis des dritten Patriarchen des Zen in China. Bern, München u. Wien 1991, S. 167

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Diese Kalligraphie und viele weitere sind auch in einem Buch enthalten und kommentiert:

ZEN + NICHT-ZEN. Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien

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