Muße. Ruhig sitzen und dem Wind in den Kiefern lauschen

Muße. Sitzen in stiller Zufriedenheit. Keine Absicht – auch nicht die Absicht zu meditieren. Ein Wind weht. Der Duft von würzigem Harz steigt in meine Nase. Ruhig sitzen und dem Wind in den Kiefern lauschen.

musse

 

Die Kalligraphie eines großen Zen-Meister.

Da stehen 5 Schriftzeichen. Das ist das Schöne an den chinesisch/japanischen Schriftzeichen. Da braucht es nur ein paar Pinselstriche und ein ganzer Film läuft ab. Diese Worte funktionieren auch in deutsch.

Das erste Schriftzeichen: Muße

Da geht es ganz prominent um Muße. Das ist das Thema.

Ich brauche mich nicht anzustrengen. Es ist ganz normal und ganz natürlich, dass ich hier sitze. Ich brauche mir keine Gedanken zu machen, ob ich hier sitzen darf oder nicht. Ich sitze einfach in stiller Zufriedenheit und Muße.

Ich sitze nicht hier, um etwas zu tun. Ich suche nicht nach meinen Schafen oder nach einem Zweig für einen Kieferstrauß. Ich kümmere mich auch nicht darum, wie ich wieder nach Hause komme oder was ich heute Abend zu essen gedenke.

Ich bin zufrieden, aber ich mache keine große Sache daraus. Ich hüpfe nicht vor Freude. Es ist einfach schön, gut, normal, ohne dass das besonders hervor gehoben werden müsste. Da ist auch nichts, das zu ändern wäre. In diesem Moment ist alles genau richtig.

Dieses Nicht-Eingreifen, die Dinge lassen wie sie sind. Ich habe keine Absicht – auch nicht die Absicht zu meditieren. Vielleicht geschieht Meditation.

Vielleicht wird mir irgendwann kalt. Dann gehe ich eben. Jetzt ist jetzt, und was sein wird, das werde ich dann sehen.

Ruhig verweilen. Mich kann nichts erschüttern. Wenn ich nicht aktiv denke, dann können da auch keine Sorgen sein, keine Hoffnung und keine Furcht. Ich muss nichts tun. Ich komme gar nicht auf die Idee, etwas zu tun. Es gibt keinen Grund dafür. Ich bin hier und es ist gut.

Ich bin unbeteiligt, denn mich gibt es im Augenblick gar nicht. Da sitzt natürlich etwas. Das ist kein Stück Holz. Das ist sehr lebendig. Da ist nichts krank oder abgestorben. Und gleichzeitig ist der, der immer „ich“ sagt nicht da.

Das zweite Schriftzeichen: Wind

Dann folgt das Wort „Wind“. Es geht um den Wind, der durch die Nadeln eines Baumes streift. Wie gewöhnlich, wie natürlich. Da muss man kein Aufhebens von machen. Ein sehr alltäglicher Vorgang. Was ist da schon Besonderes dran? Das geschieht immerzu. Und niemanden kümmert es. Es geschieht einfach. Ob ich es wahrnehme oder nicht.

Selbst wenn ich wollte – ich könnte den Wind nicht ändern, ihn nicht festhalten. Mich dagegen zu stemmen, wäre nur töricht.

Das dritte Schriftzeichen: Kiefer

Hier ist einmal nicht die Kiefer die Hauptperson, wie in manchen Kalligraphien. Da streift nur Wind durch Kiefernadeln.

Das Bild der Kiefer unterstreicht aber die Situation: Ein kraftvoller knorriger Baum in majestätischer, unbekümmerter Ruhe.

Der Baum ist nicht statisch. Er lebt. Ein Wind weht. Die Zweige bewegen sich. Es gibt einen Ton. Und trotzdem steht der Baum unerschütterlich.

Das vierte Schriftzeichen: sitzen

Ich sitze. Ich spüre die Kiefernadeln unter mir. Der Duft von würzigem Harz steigt in meine Nase. Der Wind streichelt mich.

Da ist kein aktives sich Hinsetzen. Ich sitze im Gras – zeitlos.

Da ist sehr viel von Gelassenheit. Auch von unbewegt. Ein Wind weht. Aha. Da ist eine Kiefer. Auch gut. Die Nadeln piksen. Und schon wieder losgelassen. Mein Geist ist wach und lässt sich nicht ablenken.

Das fünfte Schriftzeichen: hören

Hören. Mein Sinne sind nicht verschlossen. Im Gegenteil. Sie sind voll wach. Sie bekommen alles mit. Sie hören, sie riechen, sie spüren, sie sehen sogar.

Das passt doch ausgezeichnet zur Muße: sitzen und hören, wie Wind durch eine Kiefer weht.

Da ist kein aktives Hinhören oder Lauschen. Es ist mehr ein: es hört. Der Wind fährt durch die Kiefer und erzeugt einen Ton. Es geschieht. Die Ohren nehmen den Ton auf. Dann weht es weiter und erneut kommt ein Ton. Aha. Die Ohren nehmen ihn auf, doch niemand hält ihn fest. Weder den Wind, noch den Ton.

Weshalb sollte ihn jemand festhalten? Dafür gibt es keine Veranlassung. Der Wind weht. Es gibt ein Geräusch. Ist es schön? Kühlt der Wind? Ist er warm, angenehm oder stört er? Darum geht es nicht. Er weht eben, ohne dass er Gedanken hervorruft und Assoziationen.

 

KANZA SHOFU NO KIKU – ruhig sitzen und dem Wind in den Kiefern lauschen.

Der Kalligraph war Miyanishi Gensho 宮玄, der von 1904 bis 1982 lebte, Zen nach der Rinzai-Schule praktizierte und den Klöstern Daitoku und Kobain in Kyoto als Abt vorstand.

Ein berühmtes Gemälde aus der chinesischen Song-Dynastie (1127-1279) hat genau diesen Gegenstand zum Thema. Es heißt: “Dem Wind in den Kiefern lauschend” und stammt von dem Künstler und Hofmaler Ma Lin 馬麟, der um 1180 geboren wurde und nach 1256 starb.

verweilen

 

Dazu werden die Worte überliefert: „Ich lache mit meinem trunkenen Herzen. Jemand lauscht dem Wind, der durch meine geliebten Kiefern weht.“

Weil vieles im japanischen Zen aus dieser Epoche übernommen wurde, kann es gut sein, dass sich das Zitat auf dieses Bild bezieht.

Das hier abgebildete Bild ist wahrscheinlich von Ma Lins Bild inspiriert.

raum-fuer-meditation

 

Diese Kalligraphie und viele weitere sind auch in einem Buch enthalten und kommentiert:

ZEN + NICHT-ZEN. Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien

Zen + Nicht-Zen: Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien : Seitz, Tomo J.: Amazon.de: Bücher

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