Strenge. Die Kalligraphie eines Eisenstocks. Da kann man an den Stock der Zen-Meister denken, der gegen Unachtsamkeit, Schläfrigkeit und Verspannung hilft. Allein die Tatsache, dass es sie gibt, den Stock und den Mann mit dem Stock, schärft meine Aufmerksamkeit.
Die Kalligraphie eines Eisenstocks. Eisenstock – das sieht nach Gewalt aus. Buddhismus und Gewalt, das passt doch nicht zusammen. Ein Hauptgesetz des Buddhismus ist, keinem einzigen Wesen zu schaden.
Ein Eisenstock erinnert an das Schwert Manjusris, dem Bodhisattva der Weisheit, des Wissen und der Einsicht aller Buddhas. Mit ihm durchtrennt er jegliche Verblendung.
Und auch der Holzstab der Zen-Meister, der Keisaku, steht für das Schwert des Manjusri. Mit so einem Stab gibt der Meister dem Praktizierenden vielleicht Schläge auf die Schultern. Das ist ein Akt des Mitgefühls. So ein Aufweckstab hilft gegen Unkonzentriertheit, Unachtsamkeit, Schläfrigkeit und Verspannung. Er wirkt wie eine Massage. Gleichwohl gibt es blaue Striemen auf dem Rücken.
Allein die Tatsache, dass es sie gibt, den Stock und den Mann mit dem Stock, der achtsam durch die Reihen geht, schärft meine Aufmerksamkeit. Der Stock ist geradezu manifestierte Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist bekanntlich ein Teil meines Geistes, der quasi neben mir steht und aufpasst, dass ich nicht abdrifte und mein Gewahrsein verliere.
Das ist die offensichtliche Seite des Stocks. Da werde ich aus dem Schlaf geweckt. Der Stock beendet das körperliche Einnicken oder – wenn ich großes Glück habe – für ganz kurze Zeit den ganz großen Schlaf, in den wir in dieser Existenz gerutscht sind.
Hier ist dieser Stock aus Eisen. Das ist die Steigerung von Stock. Das ist Achtsamkeit pur. Da geht es um den großen Durchbruch.
Es geht in der Praxis letztlich darum, das Haus unseres konventionellen, gewöhnlichen Geistes zu zertrümmern. Wahrscheinlich nicht für immer. Aber ein Augenblick dieser Erfahrung genügt, um zu sehen, um was es wirklich geht.
Das versuchen die großen Meister zu vermitteln. Dazu brauchen sie manchmal drastische Mittel. Einfach, weil wir so stur sind und unser gewöhnlicher Geist sich so schön eingerichtet hat und nicht aufgeben will. Diesen Geist haben wir unser ganzes Leben lang gehegt. Wir kennen nichts anderes. Die Schläge sind ein Schütteln des Meisters. Als wolle er sagen: Hast du es denn immer noch nicht verstanden? Mach doch die Augen auf! Es liegt direkt vor dir.
Urplötzlich gellt ein Schrei durch die Stille. Der bringt mich von jetzt auf gleich in die Gegenwart. Ebenso ein Schlag mit dem Stock. Es existierte latent. Da geht jemand mit dem Stock durch die Reihen. Ich weiß, es kann geschehen. Ich weiß aber nicht, wann es geschieht und ob es geschieht. Und dann ist es da.
Da ist ein Schock. Etwas setzt aus. Plötzlich ist alles weg. Fast wie ein Blackout. Da ist kein Denken mehr. Da ist kein Meditierender und kein Stock und kein Schlag. Da ist pure, durch nichts getrübt Wachheit. Die unmittelbare Wahrnehmung dessen, was jetzt geschieht, ohne den Umweg über Gedanken und Gefühle.
Wo gibt es da Gewalt? Dem Meister ist es überhaupt nicht egal, ob ich das Ziel erreiche. Er will mir helfen. Er gibt alles, um mich durch das Tor zu schieben.
Das ist die ultimative Hilfe, um das letztendliche Ziel erreichen, das so schwer zu erlangen und eigentlich ganz nah ist. Aber wie soll ich das verstehen? Ich brauche einen eisernen unbedingten Willen und geduldige Anstrengung.
Es geht nicht ein klein wenig. Da ist etwas von ganz oder gar nicht. Ich will es jetzt wissen. Egal, was es kostet – an Mühe, Qual und Entbehrung. Auch nicht: Ich mach es irgendwann. Ich will es jetzt wissen. Und wenn es mein Leben kostet.
Es gilt eine eiserne Wand zu durchbrechen. Eine Barriere. Es geht um etwas, das jenseits ist. Etwas, das wir uns nicht einmal vorstellen können.
Ein Eisenstab ist mehr als der gewöhnliche Weckstab des Meisters. Er besitzt eine furchteinflößende Qualität. Das ist die schreckliche Waffe der Dämonen, die sie schwingen, um die bösen Übeltäter in die Hölle zu zwingen. Deshalb begleiten Inschriften Abbildungen des Eisenstabes, die vor den Schrecken der Hölle warnen.
Die Kalligraphie wirkt, sehr passend zu seinem Gegenstand, äußerst kraftvoll – fast gewalttätig. Das Werk hat der Meister Zoho Bunga aus der Rinzai Schule des Zen-Buddhismus geschaffen, der von 1779 bis 1840 lebte und Abt des Jurijin-Klosters wurde. Sein Wurzellehrer war Gyo Gensetsu (1756 – 1831), ein direkter Schüler von Hakuin. Zoho erlange im Alter von 23 Jahren Erleuchtung, die sein Lehrer aber erst nach weiteren zehn Jahren Praxis bestätigte. Schließlich würde er Gyos Dharma-Erbe.
Es gibt ein nahezu identisches Werk von Hakuin, dem vielleicht größten Zen-Meister der letzten 500 Jahre, mit der Verheißung und der Mahnung: „Wer diesen Stab fürchtet, wird das Paradies betreten.“
Diese Kalligraphie und viele weitere sind auch in einem Buch enthalten und kommentiert:
ZEN + NICHT-ZEN. Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien
Zen + Nicht-Zen: Gedanken zu ostasiatischen Kalligraphien : Seitz, Tomo J.: Amazon.de: Bücher
Hier auf dieser Webseite gibt es Bilder zur Meditation und weitere Kalligraphien und viele Blog-Artikel dazu:
https://www.raumfuermeditation.de/zur-ruhe-kommen/
Hier geht’s zu den Tipps zur Meditation:
https://www.raumfuermeditation.de/meditation-tipps/
Das ist die Startseite zu „Raum für Meditation“: