Nicht handeln. Die Dinge sein lassen, wie sie sind

Nicht handeln. Unsere Kultur ist auf nach außen gerichtetes Handeln ausgerichtet. Wir handeln sogar, wenn es um Entspannung, Freizeit oder Meditation geht. In Asien gibt es eine entgegengesetzte Einstellung. In China spricht man von Wu Wei, in Tibet von Ma Shöpa. Es geht darum, nichts zu tun, nicht einzugreifen, die Dinge so sein zu lassen, wie sie sind. Wir müssen nicht eingreifen, damit das Gras wächst und das Frühjahr kommt.

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Nach außen gerichtetes Handeln

Unsere Kultur ist so sehr auf nach außen gerichtetes Handeln ausgerichtet, dass es uns in Fleisch und Blut übergegangen ist und wir uns etwas anderes gar nicht mehr so recht vorstellen könne.

Wir machten uns die Erde untertan. Räder drehen sich in endlosen Fabrikhallen, Qualm und Ruß, ein Zischen und Stampfen. Dadurch haben wir unglaubliche Macht erworben und Reichtum. Wir reißen an der einen Stelle die Erde auf, um an ihre Schätze zu gelangen. Und heute kämpfen wir genau so radikal und energisch dagegen.

Unsere Schwierigkeiten in und mit unserer Welt kommen sicher auch durch rücksichtsloses und unüberlegtes Handeln.

Wir handeln sogar, wenn es um Entspannung, Freizeit oder Meditation geht.

Die Dinge sein lassen, wie sie sind

In Asien gibt es eine andere, ganz entgegengesetzte Einstellung.

In China gibt es die Philosophie des Wu Wei. In Tibet spricht man von Ma Shöpa. Wu Wei wird in zwei Schriftzeichen geschrieben: ohne, nicht, kein und tun, handeln. Ma ist die Verneinung und Shöpa steht für handeln, tun, eingreifen. Es geht jeweils um das gleiche, nämlich: nichts tun, nicht eingreifen, die Dinge so sein lassen, wie sie sind.

Das illustriert auch gut die aus Japan stammende Aussage: Wir müssen nicht eingreifen, damit das Gras wächst und das Frühjahr kommt.

Beschreibung dieses Nichthandelns

Zu verstehen, was gemeint ist, ist für uns vielleicht gar nicht so einfach. Es widerspricht massiv unseren Denkgewohnheiten.

Dahinter steckt die Vorstellung von einem geheimnisvolle „Es“. In China spricht man vom Dao und in Tibet vom „Grund“. Das sind zunächst nur Begriffe. Es geht um etwas, das allein mit dem Verstand nicht zu begreifen ist. Es ist der Ursprung von allem und überall. Es ist leer, ewig, unwandelbar und unerschöpflich.

In Tibet spricht man von der unveränderten und unbewegten Natur. Sie ist jenseits von Ursache und Wirkung und bleibt unaufhörlich sie selbst. „Es“ muss nicht geschaffen werden. „Es“ ist schon immer da.

Es ist vergeblich, sich gegen dieses „Es“ stellen zu wollen. Viel klüger ist es, sich ihm unterzuordnen, mit ihm zu fließen und in dieses „Es“ einzutauchen.

Mein Handeln

Was folgt daraus für mein Handeln?

Ich versuche, die Dinge zu lassen, wie sie in sich sind, ohne sie abzuweisen oder zu ermutigen. Es geht um Loslassen und Vertrauen. Das Ideal hat etwas von Gelassenheit, fast Gleichgültigkeit, der Zuversicht, dass es schon in Ordnung sein wird.

Das Gras wächst und das Frühjahr kommt. Egal, ob ich eingreife oder nicht. Wie den Vögeln im Garten zuschauen. Oder wie die Wolken ziehen.

Ich versuche, Probleme nicht so ernst zu nehmen. Die meisten Sorgen sind völlig unnötig. Mir Gedanken um etwas zu machen, das ich nicht positiv beeinflussen kann, ist Verschwendung von Zeit und Energie. Ich könnte so vieles loslassen: Erwartungen, Ärger, Habenwollen, die Vergangenheit.

Manchmal ist es gut, eine Lösung nicht erzwingen zu wollen, sondern abzuwarten und die Angelegenheiten reifen zu lassen. Vielleicht sehe ich nach einiger Zeit die Dinge viel klarer. Auf einmal weiß ich, was zu tun ist.

Ich bin offen für alles, aber ich brauche nicht über alles mögliche nachzudenken. Ich bin dankbar für das, was ich bin und was ich habe und beschwere mich nicht über das, was ich nicht bin und nicht habe.

Ich kultiviere eine Haltung der Mühelosigkeit: die wesentlichen Dinge geschehen von allein, und es ist schon viel getan, wenn ich ihnen nicht im Wege stehe. Wenn nichts besonderes zu tun ist, dann kann ich auch einfach nur da sitzen und in den Himmel schauen.

Was heißt das nicht?

Es gilt zu verstehen, was gemeint ist und was nicht.

Es bedeutet nicht, gleichgültig zu werden und mich um nichts zu kümmern. Manches muss ich tun und manchmal muss ich eingreifen, zum Beispiel wenn jemand in Not ist.

Es bedeutet nicht, mein Leben aus der Hand zu geben und mich um Angelegenheiten nicht zu kümmern, wenn ich genau weiß, dass sie getan werden müssen.

Ich habe mal meine Küche voll Wasser laufen lassen, weil ich meditiert habe und meinte, ich sollte die Meditation auf keinen Fall unterbrechen, egal, was geschieht. Und dann hatte ich einen riesigen Wasserschaden, der mich viel Ärger und Geld gekostet hat. Da hätte ich besser gehandelt.

Mit diesem Nicht-Tun ist nicht Lethargie gemeint – einfach schlaff in der Ecke sitzen, abhängen, unseren Gedanken nachhängen, dösen oder schlafen.

Und es geht auch nicht darum, ein Stück Holz zu werden oder in einen dumpfen oder geistlosen Zustand zu fallen. Wir sehen weiter, wir nehmen wahr, wir fühlen, wir sind traurig, wir freuen uns.

 

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Devo

    Hej Jürgen, ich hab die Stelle über das Sitzen von Kodo Sawaki nochmal gefunden. Devo
    Übrigens schöner Artikel.

    Du musst mit einer wilden Entschlossenheit in Zazen sitzen, so als ginge es geradezu um dein Leben. Beim Zazen geht es keineswegs darum, auf dem Kissen abzuschalten oder einfach nur stumm herumzusitzen. Keine Zeit zum Dösen! Dein Zazen muss einen Tiger in die Knie zwingen. Ein nörgelndes Kind muss in Tränen ausbrechen, wenn es dich sieht. Wenn du auf diese Weise sitzt, sammelt sich die Energie deines Körpers in den Hüften. Nach wenigen Minuten in Zazen beginnt sich dein Körper von den Hüften aus anzuwärmen. Natürlich ist das nicht der Grund, weshalb wir Zazen praktizieren, aber diese Energie heilt jede Krankheit. So sagt auch Hakuin 83: „Konzentriere deinen Geist stets in der Tanden-Region84. Auf diese Weise förderst du deine vitale Energie. Weder die Hitze des Sommers noch die Kälte des Winters werden dir etwas anhaben können, und selbst als Hundertjähriger werden dein Zähne fest im Biss und deine Fingernägel gesund sein. Solange du dich nicht auf die faule Haut legst, wird dir ein lan- ges Leben beschert sein. Du wirst jeden Weg bis zu Ende gehen, jedes Gebot einhalten, dich in jede Meditation vertiefen und jede Tugend verwirklichen können.“

    Es ist nicht gut, die inneren Organe stark nach oben zu drücken und in den Unterleib zu viel Spannung zu legen. Am besten lässt du die inneren Organe in ihrer natürlichen Lage über dem unteren Bauch ruhen. Wenn du die inneren Organe überanstrengst, wirst du krank.

    d) Die Augen

    Im Fukanzazengi steht, wir sollten die Augen stets geöffnet halten. Man-

    che missverstehen das und glauben, sie müssten beim Zazen die Augen

    aufreißen. Aber im Zazengi schreibt Dôgen Zenji: „Halte die Augen geöffnet, weder zu sehr noch zu wenig.“ Halte die Augen auf natürliche Weise geöffnet, ohne sie auf einen be- stimmten Punkt zu richten. Starre nicht in die Gegend. Beschäftige dich

    nicht mit dem, was du siehst. Wenn du die Augen zu weit geöffnet hältst, etc

  2. Tomo

    Danke lieber Devo. Das sind wichtige und hilfreiche Zitate. Ich füge sie als Kommentare auch noch an zwei anderen Stellen ein.

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